Mittwoch, 12. Oktober 2011

Süße Träume auf Etage 4

Von Jens Höhner

Aus einem Lautsprecher tröpfelt moderne Jazzmusik, in ausgedehnten Klangwelten nöhlt ein Saxofon. Ich gleite – nein, ich schwebe – nahezu durch mir unbekannte, höchst moderne Lounge-Landschaften wie aus dem Katalog, eingelullt von dieser sphärischen Musik. Benebelt bin ich, vielleicht sogar high. Hier riecht es nach schwerem Holz, dort nach aufgerautem Leder. Üppigste Kissenberge laden ein zur Rast, Duftstäbe zur Linken und zur Rechten verströmen ihr Aroma. Ein Buddha grinst starr in den Raum hinein. Meine Arme werden schwer, die Beine sind es längst.

Aus dem Vorwärtsgleiten wird auf Etage 4 schließlich ein Taumeln. Ich kann nicht mehr. In den Ohren rauscht und braust es, immer wieder drängt sich jenes Saxofon in den Gehörgang. Meine Augen flimmern, die Nase juckt ob einer neuen Duftattacke. Alles dreht sich, mir sinkt der Kopf auf die Brust. Nur noch ein paar Schritte, denke ich, nur noch ein bisschen vorwärts. Dann kippe ich endlich um und versinke in flauschigen Decken, gerade eben spüre ich noch das bereitwillige Entgegenkommen einer hervorragenden Matratze. Dann ist es dunkle Nacht, ich werfe mich in Morpheus‘ Arme und gebe mich den Träumen hin. Herrlich. Ist es ein wirklicher Rausch?

Plötzlich ein energisches Räuspern. Dann ein Hüsteln, gefolgt von einem noch energischeren Räuspern. Eine Stimme dringt in meine Traumwelt. „Entschuldigung“, sagt sie. „Entschuldigung, Sie können doch nicht …“. Jemand greift an meine Schulter, fasst zu, schüttelt mich. Ich werde wach, plötzlich. Ich reibe mir die Augen. Vor mir steht ein Mann in einem schlechtsitzenden Polyesteranzug. Ein Verkäufer. Um mich herum stehen Betten, Betten und noch mal Betten. Und ich habe mir eines davon ausgesucht, um mich hinzulegen – auf Etage 4 von Möbel Meyer. „Mehr als drei Möbelhäuser sollte man einfach nicht an einem Tag aufsuchen, das ist zu viel“, urteile ich, während ich mich, eine Entschuldigung brummend, aus dem Ausstellungsstück schäle. „Sie sollten Ihre Kunden nicht so einlullen“, erkläre ich dem verdutzten Verkäufer, zeige auf die Duftstäbchen, deute auf die Jazz erfüllten Lautsprecher und trolle mich, verfolgt von einem nöhlenden Saxofon.