Donnerstag, 31. Dezember 2009

Weltpolitik auf dem Navigationsgerät

Von Jens Höhner

Ein Traum soll in Erfüllung gehen – Urlaub in Kanada, zwei Wochen. Und das mit einem Mietwagen. Also Freiheit pur, Fahrspaß ohne Zwiebelduft ausdünstende Sitznachbarn, pupsende und quengelnde Kinder oder andere Zeitgenossen, die der Entspannung nachhaltig schaden könnten. Dafür muss ein Navi her, natürlich. Das aber mit dem Auto in Kanada zu buchen, ist zu teuer. Und da es sowieso an der Zeit wäre, um in neue Technik zu investieren, klicke ich mich im Internet von Testbericht zu Testbericht, surfe von einem Forum zum nächsten.

Schließlich sieht man mich immer öfter dreimal um irgendwelche Ecken kurven, weil mich Else, die Frau im Navi, wieder mal aus den Augen verloren hat. Klüger macht jene Recherche nicht. Aber verwirrter. Denn: Nirgendwo steht auf den Herstellerseiten geschrieben, wie viel Gigabyte Platz die Produzenten der Welt überhaupt einräumen auf ihren Geräten. Europa ist auf den Navis eigentlich standardmäßig installiert, zumindest Zentraleuropa. Kanada aber ist ein Extra, das oftmals auch noch mit Alaska im Gepäck daherkommt. Oder eben mit den USA oder sogar mit einem bisschen Mexiko. „Bitte beachten Sie, dass nicht alle Geräte über genügend Platz verfügen, wenn Sie dieses Kartenmaterial installieren wollen“, belehrt mich da der Hinweis eines Herstellers. „Eventuell müssen Sie andere Karten löschen.“

Und damit fangen die Probleme doch erst an! Wie groß ist denn Kanada? Reicht es, wenn ich mich dafür von Polen trenne? Und von der schönen Schweiz mit all ihren Bergen? Oder muss ich mich auch noch von Großbritannien verabschieden? Da aber bin ich oft zu Gast, kommt also nicht in Frage. Gott hat die Welt in sechs Tagen erschaffen, und ich soll womöglich in einer Stunde entscheiden, welche Länder ich im digitalen Orkus versenke? Auch die Rivalität zwischen Türkei und Griechenland mag ich nicht entscheiden. Das Löschen gerät also schnell zum staatspolitischen Balanceakt mit den Stolperfallen des politisch völlig Inkorrekten. Brauche ich Luxemburg und Liechtenstein? Oder Andorra? Naja, zumindest in den beiden erstgenannten Ländern könnte ich vielleicht mal dringend eine Bank suchen (kleiner Scherz!).

Früher haben wir „Risiko“ auf dem Spielbrett gespielt, jetzt definiert die Fingerkuppe meinen Kosmos. Früher, als ich klein war, gab es dicke Straßen-Atlanten mit mir damals völlig unverständlichen Karten darin. Mama saß auf dem Beifahrersitz, während Papa am Lenkrad hektisch drehte und dann sehnsuchtsvoll der Abbiegung nachsah, wenn Mama mal wieder nicht schnell genug war und die Familie am richtigen Weg einfach vorbeirauschte. Für die Großen war das Nerven aufreibend, aber wir Kinder hinten im Auto fanden das eigentlich immer ganz unterhaltsam. Und irgendwie haben wir im Urlaub immer ein bisschen mehr von unserem Ferienland gesehen als andere ...